Arbeitslosigkeit
Die Betriebsseelsorge sieht Arbeitslosigkeit in einer Arbeitsgesellschaft als Skandal. Wir unterstützen Menschen in Arbeitslosigkeit auf vielfältige Weise. Wo möglich soll der Weg zurück in die Erwerbsarbeit gehen. Wo das nicht geht, unterstützen wir die gemeinschaftliche Selbstermächtigung der arbeitslosen Menschen.
Zehn verbreitete Vorurteile zur Arbeitslosigkeit – und wie Sie antworten.
1. "Fleißige Menschen werden nie arbeitslos!" Ganz falsch! Viele Menschen, die in einer von Krisen gebeutelten Branche tätig sind, finden keine oder keine angemessene Arbeit mehr. Oder sie haben ihr Leben lang gearbeitet und sind nun für den Betrieb schlicht "zu alt" = „zu teuer“. Oder sie haben in der Arbeit gesundheitliche Probleme bekommen und sind deshalb für den Betrieb nicht mehr "produktiv“ genug.
2. "Wer Arbeit sucht, findet immer welche!" Ganz falsch! Wenn es in einer Branche oder einer Region zu wenige offene Stellen gibt, wird schlicht nicht eingestellt. Zudem ist verständlich, wenn sich jemand nach nüchterner Überlegung weigert, als (Schein-) Selbständige(r) tätig zu sein bzw. eine miserabel bezahlte entwürdigende Arbeit anzunehmen.
3. "Unser Sozialstaat wird unbezahlbar!" Ganz falsch! In Wirklichkeit bringt Arbeitslosigkeit steigende Ausgaben und fehlende Einnahmen der Sozialversicherungen mit sich. Dazu kommt, dass die Sozialpflichtigkeit des Eigentums faktisch aufgegeben ist und die Kosten staatlicher Prioritäten (z.B. die deutsche Wiedervereinigung) den Sozialkassen aufgebürdet werden Zudem erzielen momentan die Krankenkassen Überschüsse. Der Staat überweist der Bundesagentur in Nürnberg schließlich weniger, als für die Altersversorgung der früheren Beamten der Bundesanstalt für Arbeit tatsächlich nötig wäre.
4. "Wird Dauer oder Höhe des Arbeitslosengeldes gekürzt, suchen Arbeitslose schneller Arbeit!" Falsch! Dahinter steckt zwar das Argument, dass jemand "sich beruflich bewegt", wenn der Staat finanzielle Daumenschrauben anzieht. Wenn aber nicht genügend passende Stellen vorhanden oder mit den Stellenangeboten Hungerlöhne verbunden sind, funktioniert der Mechanismus genau umgekehrt: Unschuldige werden nun für ihr Los obendrein noch finanziell bestraft.
5. "Arbeitslose müssen sich halt anstrengen!" Falsch! Aufgrund seelischer, gesundheitlicher, finanzieller und partnerschaftlicher Folgen werden Arbeitsuchende unsicher oder unbeholfen: Einerseits wollen sie wieder Arbeit finden und dazu gehören. Andererseits sind Lähmung und Lethargie fast zwangsläufig, wenn die ersten 50 Bewerbungen, Arbeit zu finden, scheitern. (Wir Betriebsseelsorger stehen ihnen gerade dann hilfreich zur Seite, um mit ihrer fatalen und scheinbar ausweglosen Situation menschlich zurechtzukommen.)
6. "Arbeitslose sind doch selbst schuld!" Fast immer falsch! Nur Wenigste sind arbeitslos geworden, weil "verhaltensbedingt" gekündigt wurde; nur sie haben aktiv zu ihrem Schicksal beigetragen. Die allermeisten Arbeitsuchenden haben "betriebsbedingt" oder „krankheitsbedingt“ ihre Tätigkeit verloren oder hatten als Jugendliche nie Gelegenheit, mit Hilfe des Elternhauses im Erwerbsleben Fuß zu fassen. Sie können also für ihr Schicksal persönlich nichts. Salopp hört man dann, sie hätten eben "Pech gehabt!"
7. "Arbeitslose lungern bloß herum!" Fast immer falsch! Wer Arbeit sucht, hat mit Selbstwertproblemen zu kämpfen oder wird oftmals von seiner Umgebung scheel angeschaut. Das kann oft dazu führen, dass Arbeitsuchende aus Scham "scheu wie das Reh" werden und sich im Bekanntenkreis oder der Öffentlichkeit zurückhalten, wenn nicht sogar verstecken.
8. "Wer etwas Gescheites gelernt hat, wird nie arbeitslos!" Fast immer falsch! Tatsächlich schützt eine gute Ausbildung etwas besser vor dem Risiko, seine Tätigkeit zu verlieren. Allerdings gibt es mittlerweile genügend talentierte und gebildete Menschen, die keine Tätigkeit mehr finden.
9. "Bei uns gibt es keine Arbeitslose! Also, ich kenne keinen!" Fast immer falsch! Manche kennen in ihrem Bekannten- oder Verwandtenkreis tatsächlich niemanden, der Arbeit sucht. Als Betriebsseelsorger trifft man immer wieder auf Arbeitsuchende, die ihre schwierige Situation verheimlichen und so tun, als ob „alles in Ordnung“ wäre. Allerdings lässt sich diese Scheinwirklichkeit nie lange aufrechterhalten. Meistens ziehen sich Arbeitsuchende aus Vereinen, Ehrenämtern, Kirchengemeinden etc. zurück, aus Angst, angemacht zu werden.
10. "Arbeitslosen geht es doch bei uns noch viel zu gut!" Oftmals falsch! Arbeitslosigkeit erlaube ein üppiges Leben - ein gerne geschürtes Vorurteil. Tatsächlich sind alle Selbstversuche von Journalisten und Sozialarbeitern, probeweise mit ALG2 = „HARTZ IV“ eine Weile über die Runden zu kommen, nach kürzester Zeit kläglich gescheitert. Als Betriebsseelsorger kennen wir genügend Betroffene, die von ihrer zum Lebensunterhalt bestimmten Summe etwas für Heizung oder Mobilität abzweigen müssen. Langzeitarbeitsuchende haben kostspielige Hobbies schweren Herzens aufgegeben. Andererseits lohnt sich gerade für ungelernte Arbeitskräfte die Aufnahme einer schlecht bezahlten Tätigkeit nicht, da der Unterschied zu HARTZ IV aufgrund von Lohndumping zu gering geworden ist.
Betriebsseelsorger Walter Wedl, Böblingen (September 2017)