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Mancher autoritäre Chef kommt ins Grübeln

Eva-Maria Huber vom Schwarzwälder Bote Villingen-Schwenningen interviewte Betriebsseelsorger Thomas Maile zu den Folgen der Krise.

Trotz Corona-Krise und Lockdown macht Betriebsseelsorger Thomas Maile das, was er seit Jahren tut: Er hört sich in Betrieben der Region um, was die Beschäftigten belastet. Die Ängste, vor allem vor einer ungewissen Zukunft, sind gestiegen. Angesichts nur weniger Lichtschimmer liegen auch immer mehr die Nerven blank. "Denn es ist ja noch kein Ende in Sicht." Seit 1987 ist Maile für die Diözese Rottenburg-Stuttgart aktiv, und damit auch für den Bereich VS. 


Ein Betriebsseelsorger, der aufgrund der Einschränkungen kaum noch in die Betriebe gehen darf: Wie geht das? Ist da eine Seelsorge überhaupt noch möglich?

Ich gehe nach wie vor in Betriebe, natürlich unter strengen Bedingungen. Aber es stimmt, das Meiste läuft über Telefonate, WhatsApp oder E-Mails. Leider. Ich vermisse dabei nicht nur den direkten Draht zu den Arbeitnehmern und auch ihren Chefs, mir fehlen auch die Stammtischrunden mit Betriebsräten und der persönliche Austausch mit meinen Kollegen. 

Wie erleben Sie als Betriebsseelsorger diese Krisenzeit und den nunmehr zweiten Lockdown?

Die Ängste der Menschen sind weiter gestiegen, weil sich viele fragen: Wie soll das bloß weitergehen? Die Ungewissheit macht vielen zu schaffen. Befeuert werden solche Emotionen jetzt noch durch Berichte über Virus-Mutationen, die aufgetaucht sind. 

Wie beschreiben Beschäftigte ihre Gefühle?

Die Stimmung ist gereizt. Das ständige Tragen von Masken ist für viele belastend, dazu kommt noch der gebotene Abstand zu Kollegen. Und die privaten Sorgen, vor allem auch um die eigene Zukunft und die der Kinder, geht manchen doch immer wieder durch den Kopf. Auch am Arbeitsplatz. Prekär ist die Lage vor allem bei jenen, die noch immer auf staatliche Hilfen warten, wie Gastronomen und Händler etwa. 

Wie oft erleben sie Verzweiflung und Existenzangst?

Die Angst ist da, vor dem Ruin, vor dem Verlust der Existenz und davor, all das zu verlieren, was man sich mühsam aufgebaut hat. 

Was sagen Sie Menschen, die an ihre Grenze kommen?

Ich signalisiere ihnen, Du bist nicht allein. Wir finden miteinander einen Weg. Mit einem Telefonat ist es dabei nicht getan, um die schwierige Wegstrecke zu bewältigen. 

Wie können Sie konkret helfen?

Wenn jemand arbeitslos geworden ist und ich von freien Stellen weiß, dann sage ich das auch dem Betroffenen und helfe denen bei der Bewerbung. 

Wie groß ist die Verunsicherung bei Menschen, die in Kurzarbeit sind?

Generell ist Kurzarbeit ein gutes Instrument, um in solchen Krisenzeiten Entlassungen zu vermeiden. Manche kommen ganz gut über die Runden, bei anderen reicht es hinten und vorne nicht. Doch auch hier ist große Unsicherheit zu spüren, denn Kurzarbeitergeld kann ja nicht ewig ausbezahlt werden. Die Frage, was kommt dann, geht den meisten nicht mehr aus dem Kopf. 

Was geht in jungen Menschen vor, wie beschreiben Jugendvertreter deren Stimmungslage?

Ein problematisches Kapitel. Praktikumsplätze sind kaum noch zu bekommen, zudem werden derzeit rund zehn Prozent weniger Ausbildungsplätze angeboten. 

Und damit bleiben vor allem jene auf der Strecke, die sich ohnehin schon schwer tun mit der Schule, vor allem unter den jetzigen Voraussetzungen?

Genau so ist es - die Schwachen werden die Verlierer sein. Einige, die keinen besonders guten Schulabschluss hatten, bekamen wenigstens über erfolgreiche Betriebspraktika eine Chance auf eine Lehrstelle. Das ist derzeit kaum möglich. 

Homeoffice-Angebote sollen ja deutlich ausgebaut werden. Fluch oder Segen?

Das kommt darauf an. Am besten, so habe ich das mitbekommen, sind rollierende Systeme, eine Woche im Betrieb, die zweite Woche im Homeoffice. Denn auf Dauer fehlen doch vielen Menschen, die lange von Zuhause aus arbeiten, die sozialen Kontakte. Sie fühlen sich isoliert und abgehängt. Die Kreativität wird ebenso ausgebremst. Denn Ideen entstehen doch dort, wo Menschen miteinander arbeiten. 

Sie lassen gerne mal Rauch rein in Chefetagen: Hat sich's zu Krisenzeiten etwas ausgeraucht?

(lacht) Nein, nicht wirklich. Klar, werden Chefs mit einem ausgeprägten autoritären Führungsstil nicht automatisch in Krisenzeiten zu Teamplayern. Doch bei manchen vollzieht sich tatsächlich ein Wandel. Da wird das autoritäre Denken von einem anderen und der Einsicht überlagert: "Wir kommen nur gemeinsam durch die Krise."

Und nach der Krise blitzt der alte Chef wieder durch, der seine Arbeitnehmer schikaniert und bloßstellt und seine Machtposition ausspielt?

Nicht unbedingt. Einige werden sehen, dass ein respektvoller Umgang mit den Beschäftigten und eine solide Vertrauensbasis der Firma guttut, in jeder Hinsicht.

Klingt nach Prinzip Hoffnung. Laufen wir aber nicht Gefahr, bald nach der Krise wieder aufs alte Hamsterrad zu steigen, bis zur nächsten Zäsur?

Klar, die Gefahr besteht. Doch ich höre aus Gesprächen heraus, dass viele nachdenklich geworden sind und verstanden haben, dass unsere Zeit eine dauerhafte Entschleunigung braucht und kein weiteres ständiges Hetzen von Termin zu Termin. Die Zukunft muss nachhaltiger und menschlicher werden. 

Welche konkreten Hoffnungsschimmer sehen Sie?

Ich war vor kurzem in einem Betrieb. Da hat die Geschäftsführung wegen der Krise Bonuszahlungen an ihre Mitarbeiter ausgegeben. Diese wiederum haben einen Teil dieses zusätzlichen Geldes an andere, Reinigungskräfte zum Beispiel, weitergegeben, da diese über eine Fremdfirma zu dem Betrieb kamen und ansonsten leer ausgegangen wären. Das ist doch ein starkes Zeichen der Solidarität. 


Der Artikel erschien am 27.01.2021 im Schwarzwälder Bote Villingen-Schwenningen.