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Katholische Betriebsseelsorge
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Stadt Tuttlingen

Tuttlingen
28.5.2020

Dem "König" ins Gewissen reden

Eva-Maria Huber vom Schwarzwälder Bote Villingen-Schwenningen interviewte Betriebsseelsorger Thomas Maile zur aktuellen Situation in der Corona-Zeit.

Er ist Schlichter, Zuhörer, motiviert und lässt aber auch ab und zu Rauch rein, wenn ihm Betriebsschließungen so was von gegen den Strich gehen. Betriebsseelsorger Thomas Maile kommt zwar derzeit nur in Ausnahmefällen in die Firmen, aber zu tun hat er genug. Denn viele Menschen haben Ängste, weniger vor dem Virus, als vor Arbeitslosigkeit und Pleite. In einem Interview geht er auf die aktuelle Situation ein.
 

Wie sieht Ihre Arbeit als Betriebsseelsorger aus?

Ich bin für die Diözese Rottenburg-Stuttgart seit 1987 aktiv, und damit auch für den Bereich VS. Ich gehe in die Betriebe hinein, habe auch schon im Schichtdienst gearbeitet, um so die Härten des Alltags und somit die Sorgen der Menschen besser kennenzulernen. Ich bin zudem in engem Kontakt mit Personal- und Betriebsräten sowie den Gewerkschaften.

Manchmal lassen Sie auch gehörig Rauch in die Chefetagen rein?

Ich versuche, Menschen in ihren Anliegen zu unterstützen und Unrecht beim Namen zu nennen. Bei Ungerechtigkeiten muss ich dem „König“ ins Gewissen reden. Es kann nicht sein, dass zum Beispiel ein Unternehmen dicht macht, um seine Produktion nach Osteuropa zu verlagern, aber gleichzeitig 15 Prozent Rendite einfährt.

Wie weit ist es in den Chefetagen mit der Akzeptanz für Ihre Arbeit?

Die meisten finden die Betriebsseelsorge wichtig und haben akzeptiert, dass ich mich vor allem für die Schwächeren und Benachteiligten einsetze.

Sie werben in den Betrieben für einen wertschätzenden Umgang. Fällt das auf fruchtbaren Boden?

Ja, immer mehr begreifen, dass Wertschätzung, Anerkennung und Lob im Arbeitsalltag ganz wichtige Faktoren sind. Sie halten die Menschen gesund. Ein gutes Betriebsklima zahlt sich für alle aus. Der Krankenstand ist niedrig, die Motivation und Leistungsbereitschaft sind dagegen groß.

Wie oft telefonieren Sie am Tag, in die Betriebe dürfen Sie ja nicht mehr?

Auch ich bin zum Homeoffice gezwungen und gehe nur in Ausnahmefällen in die Betriebe, etwa, wenn es Auseinandersetzungen gibt. Ich telefoniere sehr viel, habe meine tägliche Liste vor mir. Sicherlich kann ein Telefonat eine persönliche Begegnung nicht ersetzen, ich kann auch niemanden in den Arm nehmen. Aber den Menschen tut es schon gut, dass einer ihnen zuhört, sie ermutigt und mit ihnen gemeinsam durch diese schwere Zeit geht oder die Frage zu beantworten hilft: Wie kann ich meine Situation verbessern?

Was belastet die Menschen in der aktuellen Krisenzeit am meisten?

Angst ist das große Thema. Die Menschen haben weniger Angst vor einer Infektion als vielmehr vor dem Verlust der Arbeit. Es sind massive Existenzängste, die sie plagen. Vor allem aus der Gastronomie- und Hotelbranche höre ich immer wieder: „Ich komme bald nicht mehr über die Runden.“ Die drohende Pleite bestimmt die Gedanken. Was sich zudem viele meiner Gesprächspartner fragen: Was kommt da noch auf uns zu? Diese allgemeine Verunsicherung ist belastend.

Wie belastend wirkt Kurzarbeit auf die menschliche Psyche?

Natürlich ist sie ein gutes Instrument in Krisenzeiten. Doch viele fragen sich, ob am Ende nicht doch die Arbeitslosigkeit steht. Zudem sind vor allem für Beschäftigte im Niedriglohsektor die Einkommen gering. Da kommen viele sehr schnell ans Limit. Das sind wirklich große existenzielle Sorgen.

Für viele ist das Homeoffice mittlerweile Alltag: Ein Segen oder eher ein Fluch?

Ich bekomme da ganz unterschiedliche Signale. Die einen sehen es positiv, dass sie nicht jeden Tag so weit fahren müssen und ihre Kinder ohne Not betreuen können. Den anderen fehlen die sozialen Kontakte. Das ist verständlich, denn das ist es ja, was die Arbeit ausmacht.

Zu Beginn Ihrer Arbeit als Betriebsseelsorger in den 80er-Jahren war die Arbeitslosigkeit ein großes Thema. Befürchten Sie, dass, kurz vor Ihrem Ruhestand, das Thema nochmal aufblitzt?

Ja, diese Befürchtung habe ich. Ich denke, wir werden noch lange unter den Folgen der Krise zu leiden haben. Und das ist belastend für mich.

Auf was freuen Sie sich?

Ich freue mich darauf, endlich wieder in die Betriebe zurück zu kehren und den Menschen nahe zu sein.

Welche Lehren sind aus der Corona-Krise zu ziehen, in der so oft wie nie zuvor das Gemeinschafts-Gefühl und Solidaritätsgedanke heraufbeschworen wurde?

Wir sollten daraus lernen, künftig stärker als bisher respektvoll miteinander umzugehen, vor allem in der Arbeitswelt. Zudem sollten wir all die schönen Dinge nicht vergessen, rausgehen in die Natur, uns bewegen und dankbar zu sein. Und nach der Krise nicht von einer Zeit der Entschleunigung wieder ins alte Hamsterrad zurück zu kehren.

Welche Aussage hat Sie in dieser Krisenzeit am meisten berührt?

Der Ruf, weltweit alle Kriege einzustellen, derzeit haben wir 25 kriegerische Auseinandersetzungen mit unendlichem Leid wie im Jemen. Ja, der Ruf kommt zur rechten Zeit: Wenn nicht jetzt, wann dann?
 

Der Artikel erschien am 22.05.2020 im Schwarzwälder Bote Villingen-Schwenningen.