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Katholische Betriebsseelsorge
Diözese Rottenburg-Stuttgart
RV- Röttgers_06-13
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jo Röttgers

Ravensburg
4.5.2020

Solidarisch ist man nicht alleine

Die Menschen haben schon immer, und derzeit verstärkt, Phantasien gehabt, wie die Welt eines Tages untergehen könnte: angefangen von der Sintflut über ökologische Katastrophen bis hin zur nuklearen Zerstörung oder einem „Krieg der Sterne“. Neu dazugekommen: das Corona-Virus.

Es ist aber wenig Phantasie in der Menschheitsgeschichte zu entdecken, wie die Welt gut und neu geordnet werden kann. Es gibt derzeit gelegentlich Hinweise darauf, die Arbeitswelt nach der Krise ökologischer und nachhaltiger zu gestalten. Außer Acht bleibt jedoch der Aspekt eines lebensdienlichen Wirtschaftens, in dem nicht mehr das Kapital an erster Stelle tritt, sondern der Mensch. Max Weber hat in einer seiner Schriften darauf hingewiesen, dass der Kapitalismus sich Subjekte schafft, deren er bedarf. Ist es nach 100 Jahren nicht an der Zeit, dass sich die Subjekte einen Kapitalismus schaffen, der ihnen bedarf?

Die neue Menschlichkeit, die wir in den vergangenen Wochen entdeckt haben, lebt zwar momentan von Applaus und breiter Anerkennung, bedarf jedoch einer Weiterführung in wirtschaftlichen Strukturen und Verhältnissen. Darauf weist auch Papst Franziskus in seinem sehr lesenswerten Osterbrief vom 12. April an die Sozialen Bewegungen: „Ich hoffe, dass die gegenwärtige Gefahr den automatischen Gang der Dinge unterbricht, unser schlafendes Gewissen aufrüttelt und eine menschliche und ökologische Umkehr bewirkt, die die Vergötzung des Geldes beendet und stattdessen die Würde und das Leben ins Zentrum rückt. Unsere so wettbewerbsorientierte und individualistische Kultur mit ihren frenetischen Rhythmen von Produktion und Konsum, mit ihrem übertriebenen Luxus und übermäßigen Gewinnspannen für wenige, muss eine Veränderung durchlaufen, umdenken und sich neu strukturieren.“

Verantwortlich handeln bedeutet, eine Krise zu durchleben, sie aber auch zu gestalten. Ich will nicht glauben, wie Jürgen Habermas Mitte der Achtzigerjahre formulierte, dass „die utopischen Energien erschöpft sind“, sondern ich vertraue auf Gottes inspirierenden Geist, der uns Phantasie des Gestaltens und Umsetzens ermöglicht. Welche Wege für ein lebensdienliches Wirtschaften die richtigen sind – ob Nachhaltigkeit, Grundeinkommen, Gemeinwohlökonomie, Tarifbindungen, Primat des Staates – darüber lässt sich streiten.  Ein Zurück zum Bisherigen, zum Alten bringt uns der Apokalypse des Untergangs näher. Im Johannesevangelium, Kap. 10, spricht Jesus von seinem Auftrag, er sei gekommen, damit wir das Leben in Fülle haben. Leben in Fülle reduziert sich nicht auf das Individuelle, Subjektive, sondern bezieht auch die Gesellschaft und Arbeitswelt mit ein. Ohne ein menschenfreundliches System, eine lebensdienliche Struktur kann Gutes Leben und Gute Arbeit nicht gelingen. Ethisch spricht die Kirche in ihrer Sozialethik von Personalität und Solidarität. Die Person in allem Tun in die Mitte zu stellen und solidarisch zu handeln, damit niemand unter die Räder fällt, sind Visionen für eine bessere Welt. Was es dazu bedarf: Mut zur Veränderung, zur Gestaltung und zur Solidarität