Vom (Über-)Leben, Arbeiten und gewerkschaftlichem Engagement in den Zeiten von Corona
Die Corona-Pandemie verschlechtert massiv die Situation informeller Arbeiter*innen in Indien
Ein Bericht der Organisation IASEW, die informelle Arbeitnehmer*innen in der Durchsetzung ihrer Rechte unterstützt und niederschwellige solidarische Hilfe leistet (der Bericht ist in der vorliegenden Übersetzung gekürzt, die englische Langfassung finden Sie als pdf-Dokument am Ende des Textes).
Gegenwärtig kämpfen sowohl entwickelte wie auch unterentwickelte Nationen gegen das neuentdeckte Corona-Virus. Die Situation ist überall auf der Welt kritisch und erfasst alle Wirtschafts- und Lebensbereiche. Das Virus lähmt das Leben sowohl der reichen wie auch der armen Bevölkerung. Das Corona-Virus nimmt rasch zu und wurde von der Weltgesundheitsorganisation WHO zur Pandemie erklärt. In den meisten Ländern wurden Ausgangssperren und Einschränkungen wirtschaftlicher Tätigkeiten angeordnet. Dieser „Lockdown“ genannte Prozess hat das Stressniveau beschleunigt; die Pandemie gefährdet die Gesundheit von Millionen von Menschen. Die zunehmende Arbeitslosigkeit wird die Wirtschaft stark behindern. In Indien leiden ganz besonders die im informellen Sektor (Arbeiter*innen, die nicht sozialversicherungspflichtig beschäftigt sind) Beschäftigten an den Folgen dieser Pandemie. Sie leben von der Hand in den Mund, denn sie müssen allein von den Einkünften leben, die sie tagein tagaus verdienen. Sie stehen ganz besonders unter Stress und durchleben die traumatische Erfahrung, dass ihr Überleben von heute auf morgen in Frage gestellt ist. Die Geschwindigkeit, mit der sich das Virus verbreitet, stellt zudem den Gesundheitsbereich vor nahezu unlösbare Aufgaben.
Gesten der Solidarität in heutiger Zeit sind dort zu beobachten, wo die Gesellschaft in dieser schwierigen Zeit echtes Einfühlungsvermögen gegenüber unterprivilegierten Gruppen und Einzelpersonen zeigt. Wohltätigkeitsorganisationen und religiöse Stiftungen arbeiten alle gemeinsam daran, Nahrungsmittel und andere lebensnotwendige Güter für die arme Bevölkerung zur Verfügung zu stellen.
Die große Frage nach sozialer Sicherheit und garantierten Arbeitsrechten für informelle Arbeiter*innen aber stellt sich wieder einmal, und mit neuer Brisanz. Warum konnte bis heute nicht erreicht werden, dass die benachteiligten Bevölkerungsgruppen alle notwendigen Dienstleistungen/Rechte erhalten, ohne betteln und hungern zu müssen?
So verfolgen wir in IASEW in jüngster Zeit vehement das Ziel, diese Kluft zwischen den Wohlhabenden und den marginalisierten Bevölkerungsgruppen, insbesondere Frauen, zu schließen.
Wir rufen der Regierung auf, die marginalisierten Bevölkerungsgruppen in den Fokus ihrer Hilfsbemühungen zu nehmen. Wir stellen dabei nicht die Bemühungen der indischen Regierung in Frage, die in jüngster Zeit sehr wichtige Entscheidungen getroffen hat, die den Bürger*innen insgesamt zugutekommen. Aber die Umsetzung der Beschlüsse ist nicht gut. Wir fordern eine Verbesserung, damit die Hilfe jenen zugutekommt, die sie wirklich benötigen.
Diese Pandemie führt nicht nur zu einem wirtschaftlichen Niedergang, sondern stellt auch eine enorme psychische Belastung vor allem für die Frauen dar, die im informellen Sektor die Hauptlast der Verantwortung in den Familien tragen. In unseren Zentren ist es uns in unserer Arbeit deshalb auch ein besonderes Anliegen, den - meist Frauen – einen Ausweg aus der desaströsen Situation aufzuzeigen und ihnen Mut und Optimismus zu schenken.
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Ein Blick in unsere praktische Arbeit:
Unser IASEW-Beratungsteam lässt nichts unversucht, um die Gemeinschaft zu unterstützen. Das Erweiterungszentrum wurde Anlaufstelle für viele Ratsuchende. Wir beraten dort intensiv und suchen mit allen nach einer guten Lösung für ihre Probleme.
Als z.B. unsere Beraterin Leelaben sah, dass Kaushalya Ben, eine Seniorin in einer verzweifelten Lage, niemanden hat, der sich um sie kümmert, nahm Leelaben sie in das Nachtpflegezentrum auf, wo sie alle lebenswichtigen Dinge erhält und das Personal sich mit größter Sorgfalt und Zuneigung um sie sorgt.
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Viele religiöse und wohltätige Organisationen besuchen die Menschen vor Ort, um Nahrungsmittel zu verteilen, und unsere Schwestern helfen ihnen bei Identifizierung jener Menschen in der Gemeinde, die ernsthaft Hilfe benötigen. Die eingerichteten WhatsApp-Gruppen dienen der Kommunikation mit unseren Mitgliedern und der Lösung ihrer Fragen.
Auch Telefongespräche spielen eine wichtige Rolle. In der Telefonberatung hören wir die Sorgen der Menschen und können manche Last abnehmen, weil wir ihnen adäquate Informationen und Unterstützung bieten können.
„Ich (Bild s.o.) bin Shamshad Ben. Mein Mann und ich arbeiten gemeinsam. Wir betreiben einen kleinen Stand an der Straße in Rajkhad. Aufgrund des Coronavirus-Ausbruchs mussten wir den Ausgangssperren und dem Einstellen betrieblicher Aktivitäten Folge leisten und unseren Stand schließen, der unsere einzige Einnahmequelle ist. Wir erhielten vom IASEW-Team eine Lebensmittel-Spende.
Ich leide an Diabetes, aber weil ich kein Geld mehr hatte, musste ich die Behandlung vier Tage lang aussetzen. Jetzt erhalte ich die Medikamente aus einem medizinischen Geschäft „auf Kredit“. Der Ladenbesitzer kennt uns, da wir unseren Stand genau gegenüber seiner Apotheke betreiben. Mein Sohn arbeitet als Auto-Rikscha-Fahrer. Wir müssen wir für das Auto eine Miete von 200 Rs pro Tag zahlen. Seit Inkrafttreten der rigorosen Ausgangssperre können wir die Miete für das Auto nicht mehr bezahlen, da es kein Einkommen gibt. Ich habe auch die Befürchtung, dass wir auch nach Aufhebung des „Lockdowns“ nicht so schnell auf die Beine kommen werden, da die Menschen zögern werden, außer Haus zu essen und und auf die Straße zu gehen. Ich bete zu meinem Gott, dass diese Krise verschwindet, jetzt!“
Hier geht es zur englischen Originalfassung des Textes: