Vom (Über-)Leben, Arbeiten und gewerkschaftlichem Engagement in den Zeiten von Corona
"Wir werden die internationale Solidarität nie vergessen“ - Mit dem Gewerkschafter und Arbeiterführer Jesús Torres Nuño im Gespräch
„Mein Name ist Jesús Torres Nuño, ich arbeitete als Maschinenführer in einer Reifenfabrik, die ursprünglich als mexikanische Firma unter dem Namen Compañía Hulera Euzkadi bekannt war und heute im Besitz der Cooper Tire & Ruber Co. aus den Vereinigten Staaten ist. Ich war Generalsekretär der Nationalen Revolutionären Gewerkschaft der Arbeiter*innen von Euzkadi und Vorsitzender des Vorstands der Demokratischen Arbeiter des Westens (TRADOC), einer Genossenschaft, die wir Ende 2004 gegründet haben.“
Welche Auswirkungen hat die Corona-Virus-Pandemie auf die mexikanische Arbeitswelt und die Arbeitnehmer*innen im Reifen Werk Cooper in El Salto, Jal.
Es gibt schreckliche Fälle, in denen Unternehmen Arbeitnehmer*innen zwingen, die Arbeit fortzusetzen, als gebe es kein Risiko, ohne Schutz und ohne Umsetzung der erforderlichen Gesundheitsmaßnahmen.
Die Unternehmensleitung von Cooper konnte die Regierung des Bundesstaates Jalisco zunächst dazu zu bringen, die Reifenproduktion als "systemrelevant" einzustufen, um so die Arbeiter*innen trotz des existierenden Risikos zur Arbeit zu zwingen.
Aber nach einer eingereichten Beschwerde beim Arbeitsministerministerium in der Hauptstadt Mexiko-Stadt und aufgrund der Proteste der Arbeitnehmer*innen wurde dieser komplett falsche Beschluss zurückgenommen. Das Werk ist somit heute und bis auf weiteres geschlossen. Leider kündigte Cooper einseitig die Zahlung von nur 50% des Gehalts für die Dauer der Schließung an.
Wie geht ihr als die Arbeiter*innen im Betrieb mit der aktuellen Situation um?
Wir reorganisieren unsere Kräfte als demokratische Strömung innerhalb des Werks, übrigens mit sehr guten Ergebnissen, da es uns gelungen ist, erheblichen Druck auf das Unternehmen und auf den neuen Exekutivausschuss der Gewerkschaft (SNTRADOC) auszuüben, die leider von der Mehrheit der Genoss*innen gewählt wurden. Traurigerweise hat sich die Leitung dieser Hausgewerkschaft (viele Unternehmen in Mexiko haben sog. "Hausgewerkschaften", meist sogar vom Arbeitgeber installiert; der Übersetzer) als unfähig und korrupt erwiesen. Deshalb haben wir beschlossen, unsere Tätigkeit fortzusetzen und die Genoss*innen im Umgang mit der willfährigen Leitung zu begleiten.
Krisenzeiten sind auch Zeiten besonderer Solidarität - wo erlebst Du das in Deinem Umfeld?
Zunächst einmal in meiner Familie, die mich gerade auch jetzt in Zeiten der Corona-Pandemie unterstützt und begleitet. Solidarität erlebe ich aber auch im Kries meiner engsten Kollegen, mit denen ich in ständiger Kommunikation stehe, so dass wir trotz der Quarantäne aktiv bleiben, im Kampf.
In Deutschland gibt es dieses Jahr zum 1. Mai aufgrund der Einschränkungen keine öffentlichen Veranstaltungen. Gibt es einen Gedanken oder eine Botschaft, die Du uns zum Tag der Arbeit zukommen lassen möchtest?
Während unseres großen Streiks*, der im Dezember 2001 begann und im Januar 2005 in einem sehr wichtigen Sieg gipfelte, hatte wir wirklich unglaubliche Unterstützung von unseren deutschen Genoss*innen, denn auch Dank ihnen gelang es uns, die Firma Continental zu besiegen, die unsere Rechte anerkennen musste (...).
Wir werden die damals erlebte Geschwisterlichkeit der deutschen Arbeiter*innen und die durchgeführten Solidaritätsorganisationen nie vergessen und sind dafür bis heute sehr dankbar. Aus diesem Grund senden wir Euch zum diesjährigen Internationalen Tag der Arbeit einen geschwisterlichen Gruß, eine große Umarmung!
(*) Die damals unabhängige und vom breiten Konsens der Arbeitnehmer*innen getragene Gewerkschaft unter der Führung von Jesús Torres Nuño konnte nach einem langen Arbeitskampf - gegen die damalige Unternehmensleitung von Continental, die das Reifenwerk zuvor aufkaufte - die Zerschlagung von Arbeitsrechten- und -standards verhindern und das Werk als Genossenschaft sogar weitgehend unter Eigenregie weiterführen. Mittlerweile jedoch ist das Werk mehrheitlich im Besitz eines amerikanischen Reifenkonzerns, die schwierigen Marktbedingungen haben es der Genossenschaft letztlich nicht ermöglicht, dauerhaft selbstständig zu überleben,
Hier geht es zur spanischen Fassung des Interviews: