Prälat Kossen: "Arbeitsmigranten sind betrogene Verlierer"
Der für seinen engagierten Einsatz für die Würde migrantischer
Arbeitnehmer*innen bekannt gewordenen Prälat schreibt:
(28.3.2020)
"Im Rahmen der Maßnahmen gegen die Ausbreitung des Corona-Virus ist die
Arbeitnehmer-Freizügigkeit innerhalb der EU stark eingeschränkt. Konkret
heißt das: Der Nachschub an frischen Arbeitskräften aus Ost- und
Südosteuropa bleibt aus. Außer der Landwirtschaft werden zurzeit auch
Fleischindustrie, Paketdienste, Ausstallkolonnen, Reinigungsgewerbe und
Privathaushalte nicht mehr mit billigen Arbeiterinnen und Arbeitern
„beliefert“. Der Menschenhandel ist zum Stillstand gekommen. Und
schon gibt es Forderungen, die Restriktionen zu lockern. Der Markt
verlangt nach billigem Fleisch, Gratispaketen und billiger
24-Stunden-Pflege. Im Zweifel sollen die, die da sind, mehr arbeiten
dürfen. Peter Kossen warnt: „Kaum vorhandene Minimalstandards in
Sachen Arbeitsschutz, Entlohnung und Wohnung dürfen jetzt nicht noch
unterlaufen werden. Die verbliebenen Migranten müssen davor beschützt
werden, dass man sie noch mehr als bisher auspresst und verschleißt, um
sie dann wie Maschinenschrott zu entsorgen.“ Das niedersächsische
Sozialministerium habe Kontrollen angeordnet. Bisher hätten Kontrollen
zu keiner erkennbaren Verbesserung der Wohn- und Arbeitssituation
geführt. Die aktuelle Gefahr ließe jetzt keinen Aufschub mehr zu.
„Der Corona-Pandemie sind die von unmenschlicher Arbeit ausgelaugten
und häufig gesundheitsschädlich untergebrachten Migranten schutzlos
ausgeliefert. Dass zunehmend Kinder mitbetroffen sind, verschärft das
Problem und macht die Lösung noch dringlicher.“ Die Arbeitsmigranten
seien auch gleich die ersten, die bei Schwierigkeiten des Unternehmens
auf der Straße stünden. „Wer zahlt für sie, wenn sie in Quarantäne gehen
müssen?“, fragt Kossen. „Wenn es keiner tut, bleibt den Betroffenen
nichts weiter übrig, als arbeiten zu gehen.“ Jetzt zeige sich, was alle
wüssten, dass die Geisterarmee am Rande der Gesellschaft aus sehr realen
Menschen bestehe, aus EU-Mitbürgern, denen Würde und Gerechtigkeit bei
uns nicht selten vorenthalten werden. „Lange haben Wirtschaft, Politik
und Gesellschaft über schwere Menschenrechtsverletzungen unter dem
Deckmantel der Arbeitnehmerfreizügigkeit hinweggesehen. In der Pandemie
ist es vielleicht schon zu spät, die modernen Sklaven vor der Ansteckung
und vor schweren Krankheitsverläufen jetzt noch schützen zu wollen. So
haben sie doppelt verloren, sind betrogene Verlierer.“ Kossen fragt:
„Will man einfach zusehen, wie Lücken geschlossen werden und die
Ausbeutungsmaschinerie für billiges Fleisch weiterläuft oder ist jetzt
nicht der Zeitpunkt, die Räder anzuhalten und den Systemwechsel
herbeizuführen?“ Das System einer Wertschöpfung, die weitgehend auf der
Ausbeutung von Arbeitsmigranten aufgebaut ist, sei krank und mache
krank. „Die Abkehr von diesem kranken System ist längst überfällig!“ Nur
Kontrollen und gesetzlich erzwungene Mindeststandards von Leben und
Arbeiten in Würde und Gerechtigkeit könnten die Wende herbeiführen. Für
viele Betroffene werde das aber bereits zu spät."
Weitere Informationen: http://www.wuerde-gerechtigkeit.de/