Gute Pflege? Die Rechnung ohne den Menschen (und Corona) gemacht
Für ein Gesundheitssystem jenseits von Kommerz und Profit
Betriebsseelsorger Ingrid Reidt im Gespräch mit Dr. Nadja Rakowitz, Bündnis Krankenhaus statt Fabrik (30.4.2020)
Ingrid Reidt: Die medizinisch-pflegerische Versorgung alter und kranker Menschen ist ein unverzichtbarer Dienst an Mensch und Gesellschaft und hat nicht erst seit Corona absolute Wertschätzung verdient. Doch die Rahmenbedingungen für diese anspruchsvolle Arbeit verschärfen sich unentwegt: Zeit- und Kostendruck, physischer und psychischer Verschleiß der Beschäftigten, akuter Fachkräftemangel in der ganzen Branche, Krankenhäuser, die selbst ums Überleben kämpfen“. Als Medizinsoziologin beschäftigen Sie sich seit Jahren mit dieser Thematik. Wie erklärt sich diese „Schizophrenie“?
Nadja Rakowitz: Ganz abstrakt würde ich antworten: Diese Schizophrenie ist notwendig im Kapitalismus angelegt. Wir erfahren jetzt anschaulich oder besser gesagt: schmerzhaft, was es bedeutet, ein Gesundheitswesen immer weiter kapitalistischen Mechanismen auszusetzen. Was meine ich damit? Bis Anfang der 1980er-Jahre war es mehr oder weniger Konsens in der Gesellschaft in Deutschland, dass man bestimmte Bereiche des Gesundheitswesens vor Marktmechanismen und Profitlogik schützt. Es war schlicht gesetzlich verboten, dass Krankenhäuser Gewinne oder Verluste machen durften. Und es gab Regelungen, wie viel Personal für wie viele Patienten da sein musste. Was im Krankenhaus gemacht und auch was an Strukturen vorgehalten werden musste, auch wenn es nicht täglich genutzt wurde, wurde bezahlt. Selbstkostendeckungsprinzip heißt das. Und es war und ist ein sinnvolles Prinzip. Feuerwehren werden genauso finanziert. Bislang ist niemand auf die Idee gekommen, dass man Feuerwehren effektiver machen würde, wenn man sie nur noch für gelöschte Brände bezahlen würde. Jedenfalls leuchtet jedem ein, was ein solches Prinzip zur Konsequenz hätte. Die Zahl der Brände würde steigen, oder nicht?
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